Mehrheit des Rates stimmte für den Beitritt zur Europäischen Charta für die Gleichstellung von Frau und Mann auf lokaler Ebene
Nach mehr als einem Jahr Diskussion folgte der Stadtrat am 25.04.2012 mit deutlicher Mehrheit in namentlicher Abstimmung unserem Antrag. Zustimmung kam von den LINKEN, Teilen der CDU und FDP sowie von 2 StadträtInnen der SPD. Gegen den Antrag stimmte neben der Oberbürgermeisterin auch ein großer Teil der SPD-Fraktion.
Der Beschlussfassung ging eine mehr als einjährige Diskussion voraus. Als wir den Beschluss im März 2011 (damals mit Unterstützerunterschriften der LINKEN und der SPD) einbrachten, rechneten wir aufgrund der Mehrheitsverhältnisse mit einer Bestätigung des Stadtrates. Gleichstellungspolitik wieder in den Fokus der Stadtratsarbeit zu stellen, genau an den Ort, der den Menschen die naheste Regierungs- oder Verwaltungsebene ist – war das grundsätzliche Anliegen unseres Antrages. Die Europäische Charta, erarbeitet vom Rat der Gemeinden und Regionen Europas – in dem Chemnitz Mitglied ist – stellte nach unserer Auffassung ein gutes Instrument dar, diesem Anliegen durch ein politisches Willensbekenntnis und einem verpflichtenden Beteiligungsprozess mehr Gewicht zu verleihen. Und es gab die Ergebnisse des im Januar 2011 der Öffentlichkeit vorgelegten Gutachtens zur Gleichstellung von Mann und Frau, vorgelegt von der interdisziplinär zusammengesetzten Sachverständigenkommission der Bundesregierung.
Überraschenderweise äußerte die SPD in der Ratssitzung am 9. März 2011 plötzlich noch erheblichen Diskussionsbedarf und setzte damit die Vertagung durch. Eine interfraktionelle Arbeitsgruppe beschäftigte sich daraufhin mit der Analyse der Situation in Chemnitz. Das Ergebnis konnte nicht wirklich überraschen und war auch nicht neu. Selbstverständlich findet sich ein großer Teil der Problemlagen hinsichtlich der Benachteiligung von Frauen auch in Chemnitz.
Beispielhaft genannt nur die Befunde zum Arbeitsmarkt, zu Alters- und Armutsrisiken und über stark ausdifferenzierte Wege zur Berufsausbildung (einschließlich der daraus resultierenden unterschiedlichen Chancen, Abschlüsse am Arbeitsmarkt zu realisieren).
Der Blick auf die Gleichstellungspolitik der Stadt machte darüber hinaus deutlich, dass wir uns auf diesem Politikfeld in den letzten Jahren eher nicht mit Ruhm bekleckern konnten. Gleichstellungsthemen spielen de facto in unseren Debatten keine Rolle. Während andere Städte im Zuge der gesellschaftlichen Debatte die Position der Gleichstellungsbeauftragten in ihren Hauptsatzungen stärken, findet sich bei uns lediglich ein Satz dazu, nämlich dass „der Gleichstellungsbeauftragte“ an der Verwirklichung des Grundrechts auf Gleichberechtigung mitwirkt. Leipzig und Dresden haben die Aufgaben und Rechte der Gleichstellungsbeauftragten deutlicher formuliert, ihre Überwachungsfunktion, ihr Informations- und Initiativrecht z. B. zu allen Vorhaben, Programmen und Maßnahmen der Stadt, die Auswirkungen auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau und die Anerkennung ihrer gleichwertigen Stellung in der Gesellschaft haben. Auch die Regelung, dass alle Dienststellen verpflichtet sind, die Gleichstellungsbeauftragte in der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen und sie frühzeitig zu beteiligen – findet sich in unserer Hauptsatzung nicht. So ist es auch nicht verwunderlich, dass der Bericht der Gleichstellungsbeauftragten im Rat nicht diskutiert, sondern lediglich als Informationsvorlage zur Kenntnis genommen wird.
Dramatisch die Entwicklung der Ressourcen für die Arbeit der Chemnitzer Gleichstellungsstelle. In den letzten Jahren ist ein drastischer Abbau sowohl hinsichtlich des Personals als auch der finanziellen Ausstattung zu verzeichnen. Unter Oberbürgermeister Seifert (SPD) war die Gleichstellungsstelle noch eine Stabsstelle der Verwaltung mit angemessenen personellen und finanziellen Ressourcen. Unter Oberbürgermeisterin Ludwig (SPD) erfolgte die Angliederung an das Bürgermeisteramt, Abteilung Bürgerbüro / Europäische Beziehungen / Gleichstellung. Das Budget der Gleichstellungsstelle liegt heute bei ca. 7000 € pro Jahr. 2011 erteilte der Stadtrat dem Vorhaben der Verwaltungsspitze eine Absage, die Stelle von 1,0 AE auf 0,5 AE zu kürzen. Zu nennen auch, dass eine Reihe von gleichstellungspolitischen Projekten durch Fehlentscheidungen, Missmanagement und Unterfinanzierung zerbrochen oder in der Existenz gefährdet waren oder sind.
Viele Chemnitzer Fraueninitiativen und –vereine unterstützten unseren Beschlussantrag, sammelten Unterschriften und suchten das Gespräch mit den Fraktionen. Nun gilt es, den notwendigen Beteiligungsprozess zu initiieren und innerhalb der nächsten zwei Jahre den Aktionsplan zur Umsetzung der Ziele der Charta zu erarbeiten.