BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kreisverband Chemnitz

Beschlussantrag: NoCAMnitz! Stärkung bürgernaher Polizei statt stummer Massenüberwachung in der Chemnitzer Innenstadt

Auf unserer Mitgliederversammlung am 5. November 2018 im Restaurant Schalom haben unsere Mitglieder den Leitantrag „NoCAMnitz! Stärkung bürgernaher Polizei statt stummer Massenüberwachung in der Chemnitzer Innenstadt“ beschlossen:

Wir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in Chemnitz stehen dafür ein, dass sich die Chemnitzer*innen gerne und frei in ihrer Stadt aufhalten. Wir wünschen uns eine lebendige Innenstadt, die Raum für Begegnungen und Austausch bietet. Dafür halten wir es unter anderem für notwendig, dass Ansprechpartner*innen im Fall von Unsicherheit zur Verfügung stehen. Unmittelbare Hilfe von Mensch zu Mensch ist wirksamer, als stumme Massenüberwachung. Wir lehnen die Videoüberwachung in der Chemnitzer Innenstadt ab. Stattdessen fordern wir, mehr Polizeibedienstete einzusetzen, die die Chemnitzer Innenstadt bestreifen. GRÜNE Politik steht für die Gewährleistung der Sicherheit für die Menschen bei gleichzeitiger Verteidigung der Grund- und Freiheitsrechte.

Zum Schutze der Privatsphäre der Chemnitzer*innen fordern wir GRÜNE die Verantwortlichen des Videoüberwachungsprojektes auf, die Kameras abzubauen. Wir sind überzeugt: Videokameras lösen keine Sicherheitsprobleme, sondern verlagern Kriminalität allenfalls in nicht-überwachte Bereiche. Für ein friedliches Miteinander in der Chemnitzer Innenstadt braucht es stattdessen die Präsenz von bürgernahen Ordnungskräften und Polizei. Insbesondere der Einsatz von Streetworker*innen leistet einen viel wichtigeren Beitrag zur Konfliktprävention.

Warum Videoüberwachung der falsche Weg ist:

Das Gefühl von Sicherheit durch Kameras im öffentlichen Raum wird geringer eingeschätzt als beispielsweise durch Nottelefone oder durch die Präsenz von Sicherheitspersonal. Seit langem ist bekannt, dass Videoüberwachung Kriminalität nicht verhindert, sondern höchstens verlagert. Im „Überwachungspionier“-Land England ist die Aufklärungsquote durch Videoüberwachung mit einem Fall auf 1.000 Kameras nicht effizient.

Sämtliche Videoüberwachung steht zudem im Spannungsfeld der EU-Datenschutz-Grundverordnung (EU-DSGVO), denn Videoüberwachung höhlt den Schutz der Privatsphäre aus. Die EU-DSGVO schreibt das Prinzip der Datensparsamkeit vor. Mit dem nächsten Evolutionsschritt der Videoüberwachungssoftware können jedoch auch Gesichter erkannt und zugeordnet werden, sodass unüberschaubare Mengen persönlicher Daten gesammelt, ausgewertet und schon bei Verdacht herangezogen werden können. Die geplante Novellierung des Sächsischen Polizeigesetzes würde dies in einem vorläufigen rechtlichen Rahmen erlauben. Falscherkennungen würden dann zum Alltag gehören, wie Tests von Gesichtserkennungssoftware am Berliner Südkreuz zeigen. Eine andere Frisur, ein mutigeres Make-Ups oder gefärbte Haare könnten bereits Auslöser eines „false positive“ sein. Bei den Berliner Tests wäre das eine Person unter 1.000, was angesichts der viele Passagiere tagtäglich erhebliche Auswirkungen hätte. Dadurch können nicht nur unschuldige Bürger*innen zu Unrecht in Verdacht geraten, sondern gleichzeitig würden an anderer Stelle benötigte polizeilichen Kapazitäten gebunden.

Auch der Sächsische Datenschutzbeauftragte stellt hohe Anforderungen an die Videoüberwachung durch öffentliche Stellen. Videoüberwachung könne nur als „ultima ratio“ erfolgen, d.h. nach der Ausschöpfung sämtlicher Maßnahmen ohne Grundrechtsbezug. Wir GRÜNE begrüßen entsprechende Schritte in Chemnitz wie die Aufstockung des Stadtordnungsdienstes, die Einrichtung des Streetwork-Innenstadtbüros, eine verbesserte Beleuchtung im Stadthallenpark sowie die Belebung des Stadthallenparks. Deren Wirksamkeit zu evaluieren und strategisch daran anzuknüpfen ist glaubwürdiger und verantwortungsvoller als ein datenschutzrechtlich fragwürdiger Überwachungs-Schnellschuss.

Nicht zuletzt bleibt die Frage, was undemokratische Kräfte mit einer solchen Infrastruktur tun würden, wenn sie an die Macht kämen? Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR haben hautnah erlebt, wie gefährdet der Schutz der Privatsphäre ist. Während rechte Kräfte im Freistaat erstarken, leistet die Sächsische Staatsregierung in Dresden mit der Novellierung des Sächsischen Polizeigesetzes gefährlichen Entwicklungen eifrig Vorschub.

Ohne Kenntnis über Datenschutzgrundlagen, Ausmaß und Folgekosten des Projektes haben die Fraktionen CDU/FDP, SPD und Teile der LINKEN gemeinsam mit AfD und Pro Chemnitz die Videoüberwachung im Chemnitzer Stadtrat durchgewunken und ohne mit der Wimper zu zucken 420.000 Euro aus dem städtischen Haushalt dafür bereitgestellt. Um vermeintliche Tatkraft zu beweisen oder schlichtweg ihre Klientel zu bedienen, haben die benannten Fraktionen den Chemnitzerinnen und Chemnitzern ein faules Sicherheitsversprechen gegeben. Ungeachtet der Vorbehalte des Sächsischen Datenschutzbeauftragten wegen fehlender Datenschutzfolge-abschätzungen hat Sachsens Innenminister zusätzlich noch knapp 100.000 Euro für die Chemnitzer Videoüberwachung versprochen – Mittel, die besser in Personal in den Polizeidienststellen investiert wären. Verantwortungsvolle Politik sieht für uns GRÜNE anders aus.

Das dem Stadtrat drei Monate nach Mittelbereitstellung nachgereichte Videoüberwachungskonzept beinhaltet keine vertieften Aussagen zur Datenschutzfolgeabschätzung. Dafür offenbart es ein verworrenes Konstrukt von Kamerabetrieb und Live-Bild-Nutzung zwischen den Projektpartner*innen CVAG, C3, Stadt und Polizei sowie eine zweifelhafte Überwachungspraxis: Im Falle einer Gefahrensituation schreitet niemand ein, die Bildschirme bleiben schwarz, bis ein Notruf eingeht. Gleichzeitig sollen aber Ordnungswidrigkeiten wie das Abstellen einer Glasflasche oder das Übertreten der roten Ampel an der Zentralhaltestelle die Videoüberwachung legitimieren. Wir mahnen zur Verhältnismäßigkeit und fordern die von der Oberbürgermeisterin versprochene Transparenz zum Datenschutz öffentlich zugänglich für alle Chemnitzer*innen ein.

Für Sicherheit und Freiheit im Einklang:

Als eine laut Kriminalstatistik durchschnittlich sichere Großstadt steht Chemnitz das größte Videoüberwachungsprojekt in den neuen Bundesländern schlecht zu Gesicht. Wir GRÜNE sind überzeugt, dass ein hohes Maß an Sicherheit in Chemnitz auch ohne tiefe Eingriffe in die Privatsphäre gewährleistet werden kann. Voraussetzung dafür ist eine Erhöhung der Polizeipräsenz, insbesondere nachts. Patrouillen aus dem Auto heraus helfen dabei nicht allein, es entstehen auch Barrieren. Im Kampf gegen Drogenkonsum und -kriminalität müssen Prävention und Aufklärung gleichermaßen gestärkt werden. Diskriminierendes Racial Profiling lehnen wir ab.

Wichtig ist die Stärkung der Zivilgesellschaft. Sicherheit braucht keine „Bürgerwehr“ Zu einem friedlichen Miteinander gehört aber auch Zivilcourage, wenn andere Menschen in Bedrängnis sind oder ihnen Leid zugefügt wird. Das Selbstverständnis, Schwächeren zu helfen und auf Augenhöhe zu kommunizieren muss bereits in Kitas und Schulen mit pädagogischen Angeboten vermittelt werden. Unverzichtbar ist es, die wichtige soziale Arbeit in der Innenstadt beizubehalten und womöglich sogar auszubauen. Außerdem begrüßen wir zivilgesellschaftliche Aktivitäten, die unsere Innenstadt lebendiger machen und beleben.

Wir GRÜNE wollen der Vernunft der Bürger*innen mehr Gewicht geben, als der Angst. Deshalb laden wir Stadt, Polizei und demokratischen Parteien wie auch Handel und Zivilgesellschaft ein, mit uns Wege zur Verbesserung der Sicherheit zu entwickeln, die gleichzeitig gesellschaftlichen Zusammenhalt stiften und Demokratie und Freiheit stärken.

 

Quellen:

Studien u.a. GLATZNER 2006; WOODHOUSE 2010; TULLNEY und ULLRICH 2012; APELT und MÖLLERS 2011; siehe: https://digitalcourage.de/videoueberwachung/materialsammlung
https://www.csmonitor.com/World/Europe/2012/0222/Report-London-no-safer-for-all-its-CCTV-cameras
Die Kameras des Typs Panomera sind softwaretechnisch entsprechend nachrüstbar, siehe auch: https://www.bz-berlin.de/berlin/mitte/an-diesen-orten-sieht-die-berliner-polizei-alles
http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/bahnhof-berlin-suedkreuz-testlauf-zur-gesichtserkennung-wird-verlaengert-a-1183528.html
https://www.saechsdsb.de/informationen-oeb/faqs-oeb/110-videoueberwachung-durch-kommunen
https://www.tag24.de/nachrichten/chemnitz-sachsen-skandalvideo-ueberwachung-datenschutz-verbot-814054
http://www.dnn.de/Region/Mitteldeutschland/Streit-um-Videoueberwachung-in-der-Chemnitzer-Innenstadt

Andere aktuelle Artikel

Landesparteitag in Chemnitz

Letzten Samstag, 23.11.24, zeigte unsere Landesvorsitzende Christin Furtenbacher in ihrer starken Rede auf, dass wir am klaren Ziel festhalten uns für nachhaltige, progressive Politik im

Weiterlesen »
Skip to content