von Volkmar Zschocke
1990 – 2000
In meiner Erinnerung ist es Lothar Lehmann, der Sprecher vom Neuen Forum und später Bündnis 90/Die GRÜNEN gewesen, der Petra Zais im Jahr 1993 zu einer Zusammenarbeit mit unserer damaligen Fraktion im Stadtparlament Chemnitz ermutigte. Entschieden hat sie es selbst und mit großer Klarheit, obwohl dies kein einfacher Schritt für Petra war. Denn gewählt in das Stadtparlament wurde sie 1992 als Mitglied der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS). Für diesen mutigen und selbstbewussten Wechsel war sie der Kritik ausgesetzt – seitens der PDS, aber vereinzelt auch aus den Reihen der BÜNDNISGRÜNEN: Kann eine Lehrerin der Bezirksparteischule der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands – der Kaderschmiede des DDR-Regimes, Teil des BÜNDNISGRÜNEN Reformprojektes werden? Ja, das kann sie! Denn im Gegensatz zu vielen „Wendehälsen“ reflektierte sie ihre DDR-Biografie von Anfang an transparent, selbstkritisch und ehrlich. Wer Petra damals persönlich kennenlernte, konnte wirklich keinen Zweifel entwickeln an ihrer Haltung für die demokratische Entwicklung des Landes, für die Öffnung der Gesellschaft, für die Freiheit. Auch beruflich fing Petra neu an: In der Küche in einem Kindergarten, mit einer Umschulung zur Wirtschaftsassistentin, dann bei einem Umwelttechnikunternehmen und später bei der GGGmbH.
1994 kandidierte Petra dann auf der Liste von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Gemeinsam war ich ab diesem Jahr mit ihr im Stadtrat. Von ihr habe ich viel gelernt, z.B. wie für gute Ideen Verbündete und Mehrheiten gefunden werden können, aber auch, dass Fehlentwicklungen und Missstände immer klar angesprochen werden müssen.
Petras Engagement für Chemnitz war schnell in der Stadt anerkannt. Doch dann kam die Kommunalwahl 1999. In diesem Jahr, in dem die GRÜNEN im Bund an der Regierung beteiligt waren, stimmte unsere Partei für den Nato-Einsatz im Kosovo. Überall, auch in Chemnitz, waren wir mit Protesten konfrontiert. „Kriegstreiber“ wurde auf unsere Plakate geschmiert. Die Wahlergebnisse halbierten sich. Wir haben fast alle unsere Stadtratsmandate verloren – auch Petra. Doch sie hat weiter gemacht, sich weiter engagiert. Sie war es auch, die die Diskussion um Krieg und Frieden glaubwürdig und konsequent in unserem Kreisverband vorangetrieben hat. Das hat auch dazu beigetragen, dass in dieser schweren Phase kaum Mitglieder ausgetreten sind.
2000 – 2008
Im Jahr 2001 nahm Petra dann eine große Aufgabe an. Sie forderte als einzige Frau den Amtsinhaber Dr. Peter Seifert bei der Oberbürgermeisterwahl heraus. „Stadt für Alle“ war das Motto ihres engagierten Wahlkampfes. Sie kämpfte für einen ökologischen Stadtumbau und gegen die einseitige Orientierung auf Wohnungsabriss und Marktbereinigung, für ein Mindestbudget für Soziokultur, für soziale Chancengleichheit, Weltoffenheit an den Chemnitzer Schulen, für existenzsichernde Arbeit für Frauen und insgesamt für mehr Streitkultur, Zivilcourage und Toleranz in der Stadtgesellschaft. Auch wenn sie mit ihrer Schlagfertigkeit und präzisen Argumentation den kandidierenden Männern in den Wahlpodien überlegen war, musste sie sich mit einem bescheidenen Wahlergebnis abfinden. Zu fest saß der Amtsinhaber im Sattel, zu wenig war BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der Stadtgesellschaft verankert.
Damals begann Petra damit, das Mobile Beratungsteam Chemnitz/Erzgebirge aufzubauen, um bei der Auseinandersetzung mit extremen Rechten, mit Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit professionell zu helfen. Kommunalpolitiker*innen und Bürgermeister*innen haben diese Hilfe dankbar angenommen. Denn demokratische Kultur entwickelte sich in den zehn Jahren nach der Wende in den sächsischen Städten und Gemeinden nur langsam. Auch wir Chemnitzer BÜNDNISGRÜNEN haben Petras Unterstützung immer wieder gebraucht und genutzt. Bis 2010 hat sie diese wichtige Aufgabe beim Kulturbüro Sachsen gemacht.
2009 – 2014
Die Herausforderung, für Chemnitz und BÜNDNISGRÜN mit vollem Einsatz in der ersten Reihe zu kämpfen, hat Petra immer wieder angenommen. So wurde sie 2009 erneut in den Stadtrat gewählt, in dem sie weitere zehn Jahre aktiv ehrenamtlich arbeitete. Die Bundestagswahlkämpfe in den Jahren 2009 und 2013 hat Petra mit Leidenschaft für uns bestritten, obwohl die Chance auf einen Einzug in den Bundestag für sie gering war. In all den Jahren bot sie den extremen Rechten immer wieder die Stirn, engagierte sich im Ausländerbeirat der Stadt, kämpfte für ein menschenwürdiges Miteinander und für gute Bedingungen für die seit 2015 vermehrt in Chemnitz Asyl suchenden Menschen. Ihr Engagement war auch maßgeblich bei der ersten Initiative zur Wiederbelebung der Küchwaldbühne.
Als aktive Gewerkschafterin war sie von 2011 bis 2014 Sprecherin unserer Landesarbeitsgemeinschaft GewerkschaftsGRÜN und setzte sich mit vielen Aktionen und Veranstaltungen für einen solidarischen Arbeitsmarkt in Sachsen ein. Die Gleichstellungs- und Frauenpolitik war für Petra kein Nebenbei-Thema. So vertrat sie uns von 2010 bis 2014 im Bundesfrauenrat von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als Sächsische Delegierte.
2014 – 2021
20 Jahre nachdem Petra und ich 1994 in den Stadtrat gewählt worden waren, zogen wir beide 2014 als Chemnitzer Abgeordnete mit der BÜNDNISGRÜNEN Fraktion in den Landtag ein. Es wurden für Petra noch einmal intensive und arbeitsreiche Jahre – nicht nur, weil sie weiter im Stadtrat blieb, sondern auch, weil sie ein großes Themenfeld in der Fraktion bearbeitete. Sie war als unsere Sprecherin für Bildung, Arbeitsmarktpolitik, Sport, Asyl und Migration überall in Sachsen präsent. Besonders die BÜNDNISGRÜNEN im Erzgebirge konnten auf ihre Unterstützung über ein aktives Regionalbüro zählen. Bemerkenswert dabei: Obwohl Petra einen Führerschein hatte, absolvierte sie fast alle Termine sachsenweit mit Bus und Bahn. Sie nahm den Anspruch, immer mit dem klimafreundlichsten Verkehrsmittel zu reisen, sehr ernst.
Trotz der Aufgabenbelastung im Landtag blieb Petra weiter für Chemnitz aktiv – im Stadtrat, in der Internationalen Stefan-Heym-Gesellschaft, im Freundeskreis der Jüdischen Gemeinde, in der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.
Als Antwort auf die Ausschreitungen der extremen Rechten im August 2018 in Chemnitz stellte sie sich mit der Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig an die Spitze eines breiten Bündnisses für „Herz statt Hetze“. Auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Landtag blieb Petra weiter aktiv gegen Ausgrenzung, Intoleranz und Menschenverachtung – nunmehr bei den „Omas gegen rechts“. Mit ihrer Unterstützung konnte der Kreisverband mehrfach den Preis „Kohlräbchen“ vergeben – an vorbildliche Initiativen für gute Ernährung in Chemnitzer Kitas und Schulen. Ihr jahrelanges Engagement für längeres gemeinsames Lernen und für Einführung der Gemeinschaftsschule in Sachsen trug endlich in der Legislatur nach 2019 Früchte.
Petra bleibt für mich eine der prägendsten Persönlichkeiten für mein politisches Leben. Ihre Kraft und Ausdauer und klaren Worte haben mich und andere oft ermutigt. Obwohl sie nun nicht mehr da ist, frage ich mich das eine ums andere mal: „Was würde Petra dazu sagen?“ Mit ihrem klaren Kurs für Gerechtigkeit und Menschlichkeit wird sie uns lange in Erinnerung bleiben.